Donnerstag, 21. November 2013

Fast vergessen: Konzentrationslager vor der Haustür

Auf dem Gebiet meiner Heimatgemeinde gab es ein Außenlager des Konzentrationslagers (KZ) Buchenwald, welches - man kann es nicht anders sagen - beinahe in Vergessenheit geraten wäre: das KZ Flößberg. Buchstäblich in letzter Minute begannen 2005 junge Flößberger ehrenamtlich mit Recherchen, sie riefen eine Bürgerinitiative ins Leben und gründeten schließlich die Geschichtswerkstatt Flößberg e.V. Es ist ihnen gelungen, die Vergangenheit soweit zu rekonstruieren, dass man eine Vorstellung davon bekommen kann, welcher Irrsinn hier stattgefunden hat.

An dieser Stelle nur so viel: Ende 1944 wurde hier eine Panzerfaust-Fabrik hochgezogen. In den 150 Tagen des Lagerbestehens wurden 1900, vor allem jüdische, Häftlinge unter unmenschlichen Bedingungen zum Arbeiten gezwungen, und es ließen im Zusammenhang mit diesem Lager ca. 1.000 Menschen ihr Leben.

Häftlingsfriedhof im Fürstenholz, November 2013

Als Heranwachsender bin ich (Jahrgang 1975) oft in dem kleinen Wald, der "Großes Fürstenholz" heißt oder als "Flößberger Wald" bezeichnet wird, unterwegs gewesen. Ich habe überwachsene Betonplatten gefunden und auch die Gedenkstätte des VVN, die, wie ich heute weiß, eigentlich ein Friedhof ist. Ich hatte, möglicherweise in der Schule, erfahren, dass es in dem Wald ein KZ gegeben habe. Später stellte ich mir die Frage, wozu ausgerechnet hier dieses betrieben worden sein sollte - hier gab es doch nichts von Interesse. Und mit den Jahren vergaß auch ich das Thema fast ganz.

Durch einen Zufall bin ich 2011 mit der Geschichtswerkstatt in Kontakt gekommen. Mein Interesse galt eigentlich einem Bunker im selben Wald, und durch meine Suche nach Hinweisen wurde ich im Internet auf die Vereinsseite aufmerksam. 2012 bin ich dem frisch gegründeten Förderverein Gedenkstätte Flößberg e.V. beigetreten.

Während die Geschichtswerkstatt vorrangig die Spurensuche betreibt, hat der Förderverein das Ziel, die Flößberger bei der Schaffung würdiger Formen der Erinnerung zu unterstützen. Denn anders, als in manch anderem ehemaligen KZ, sind in Flößberg keine Baulichkeiten erhalten geblieben. Abgesehen von dem Häftlingsfriedhof, ist dem Fürstenholz seine Geschichte nicht anzusehen. Auf dem Wunschzettel der Vereinsmitglieder stehen Landschaftsinstallationen, die Umgestaltung des Häftlingsfriedhofes, Hinweistafeln und ein Geschichtspfad. Vieles davon ist auf gutem Wege, auch wenn der Weg steinig ist.

Was bereits stattfindet, sind Führungen durch das Gelände. Wenn man weiß, wo man hinsehen muss, dann findet man sogar heute, nach 70 Jahren, die Spuren des Lagers. Ich habe mich als "Tour Guide" zur Verfügung gestellt und hatte am Buß- und Bettag, zusammen mit einer Vereinskollegin, meine Premiere. Gemeinsam haben wir eine kleine Gruppe zu den Stationen des Lagers geführt und die Hintergründe erläutert. Besonders beindruckt hat mich, dass die Gruppe den Sinn des Feiertages ernst genommen hat. Die Teilnehmer sind bei strömendem Regen zu Fuß über den alten Bahndamm von Bad Lausick nach Flößberg gekommen und haben auf dem Häftlingsfriedhof Blumen niedergelegt und gebetet.

Für mich war die Vorbereitung des Rundganges über mehrere Tage Anlass, mich mit der Vergangenheit zu befassen. Mit dem Lager Flößberg hatten unsere Großeltern das KZ Buchenwald vor der Haustür.


Die Außenlager des KZ Buchenwald zwischen Elbe und Rhein
(Quelle: Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora)

Ich nutze in diesem Zusammenhang gern das Zitat "Dünn ist die Decke der Zivilisation", um zu begründen, warum wir das nicht vergessen dürfen. Deshalb gebe ich mein Wissen gern weiter.

Wer Interesse an einer Führung durch das ehemalige Lager hat, kann sich jederzeit an die Geschichtswerkstatt wenden, welche die Terminwünsche koordiniert: mail@floessberg-gedenkt.de.

Eine Besuchergruppe mit mir vor dem Lager