Sonntag, 22. Februar 2015

Gratis im Internet: Der Unterschied zwischen Nutzer und Kunde

Gratisangebote im Internet sind eine feine Sache für die Kunden. Aber wo bleibt dabei die Balance zwischen Leistung und Gegenleistung? Wenn man sich dieser Frage nähert, wird deutlich:

Viele Nutzer von kostenlosen Angeboten sind nicht Kunde des Anbieters, sondern dessen Ware (oder Lieferant).

Was auf den ersten Blick paradox anmutet, möchte im am Beispiel Facebook verdeutlichen. Facebook ist ein Unternehmen. Unternehmen verdienen mit Kundengeschäften Geld. Die Facebook-„Mitgliedschaft“ ist kostenlos. Facebook verdient durch Werbeeinnahmen seiner Werbekunden. Welchen Platz nimmt wohl der Nutzer ein? Richtig, den in der Grabbelkiste.

Bei anderen Portalen, welche zischen kostenloser Basismitgliedschaft und Bezahlmodell („Goldmitgliedschaft“) unterscheiden, wie XING oder Singlebörsen, sorgt das Gratis-Angebot für eine Grundmasse von Teilnehmern, damit die Auswahl an Interagierenden für die zahlenden Kunden, also die Goldmitglieder, überhaupt attraktiv ist. Auch hier ist der kostenlos Nutzende, welcher sich überdies Werbung gefallen lassen muss, die Ware des Portals und nicht Kunde.

Das funktioniert, weil der Nutzer trotz aller Einschränkungen subjektiv einen Nutzen aus diesen Gratisangeboten zieht. Weil Du einen Kinofilm kostenlos sehen kannst, erträgst Du eben auch ausgedehnte Werbeblöcke und -einblendungen im privaten Fernsehen, anstatt ein paar Groschen für eine vernünftige Onlinevideothek auszugeben.

Manche Angebote sind kostenfrei, weil sich der Anbieter davon Folgegeschäft verspricht.

Damit geht das Unternehmen gegenüber dem Nutzer in Vorleistung in der zweifelhaften Hoffnung, dass durch eine wachsende Bindung des Kunden künftig echte Verkäufe (Cross Selling) möglich sind.

Manche Banken bieten Privatkunden aus diesem Grunde kostenlose Girokonten an, um sie erst einmal in die Kundenkartei zu bekommen. Im Laufe der Zeit wird sich entweder um eine Intensivierung der Geschäftsbeziehung bemüht, um diese profitabel zu machen. Oder die Bank geht diesen Weg der zinslosen Geldbeschaffung, weil sie die Einlagen für Geschäfte benötigt, die auf der anderen Seite der Bilanz stattfinden.

Das Pendant im Internet sind beispielsweise Gratis-Apps, die In-App-Käufe anbieten oder Werbung einblenden sowie einige Online-Angebote von Zeitungen, die ihren Content gratis im Netz verschleudern.

Einige kostenlose Angebote entsprechen dem klassischen Rabatt oder einer Zugabe.

Wenn ein Kaufmann prinzipiell bereit ist, Rabatte (Preisnachlässe) zu geben, kalkuliert er sie in die Produktpreise mit einem Aufschlag ein. Ähnlich verhält es sich mit den Zugaben. Diese gewährt der seriöse Unternehmer nur dann, wenn der Gesamteinkauf oder die Kundenbeziehung die Kosten für die Zugabe deckt, also profitabel genug ist. Und zwar heute und sicher und nicht vielleicht in der Zukunft.

Wenn Du Deinen elften Döner kostenlos bekommst, weil Du Stempel sammelst, so zahlst Du mit jedem Döner, den Du kaufst, kalkulatorisch einen Teil des elften mit. Dieses Instrument der Kundenbindung funktioniert in unseren Gehirnen ganz ausgezeichnet. Auch wenn mir die Teigtaschen bereits zu den Ohren herauskommen, muss ich Nummern 8, 9, 10 und 11 noch haben.

Auch im Netz findet man diese Formen der Preisgestaltung, etwa bei Abo-Modellen.

Warum erzähle ich das?

Weil sich durch diese Preismodelle eine Mentalität verfestigt, welche einen fairen Preis nicht mehr an der Leistung bemisst. Je stärker die Leistung immateriellen Charakters ist, desto eher ist Otto Normalverbraucher davon überzeugt, dass man sich um eine Gegenleistung drücken könne: Musik, Film, Information und Finanzen sind heute weitgehend virtualisiert, also nicht mehr an einen Träger gebunden. Bits und Bytes - worin soll da der Wert liegen?

Es wird viel lamentiert und dem Verbraucher wird gern die Schuld dafür zugeschoben. Das ist die halbe Wahrheit, denn nicht er hat in den vergangenen 30 Jahren eine wundersame Entwicklung durchgemacht, sondern der Wettbewerb hat dafür gesorgt, dass aus vielen Nutzern keine Kunden mehr werden.

Auf der einen Seite haben wir Anbieter, die es nicht geschafft haben, ihr Geschäftsmodell in die Neuzeit zu übertragen. Wer im Internet Leistungen verschenkt, die er offline bepreist, macht nicht nur sich selbst kaputt, sondern seine Branche gleich mit. Wer kostenlos anbietet, darf sich nicht beschweren, wenn das Angebot angenommen wird:

Für gut gemachten Journalismus Geld zu bezahlen, war einmal normal. Mit der Ablösung der Texte vom Zeitungspapier geben sich viele Menschen mit den Gratis-Zweitverwertungstexten auf den Onlineportalen der Zeitungen und Magazine, mit PR-Texten oder Blogger-Content (wie diesem hier) im Internet zufrieden im Glauben daran, echten Journalismus damit ersetzen zu können. Ich warte sehnsüchtig auf den Tag, an dem Spiegel Online eine Bezahlschranke einrichtet und ich mit meiner Abo-Nummer das Angebot freischalte. Die Tageszeitung Die Welt ist hier einen Schritt weiter und limitiert die Anzahl der Artikel, die monatlich kostenfrei online gelesen werden können, auf 20. Denn ganz offensichtlich lässt sich der Aufwand einer Gratis-Onlinezeitung nicht mehr rechtfertigen. Weder damit, dass mit diesem Aushängeschild echte Abonnenten geworben würden, noch damit, dass durch die Ware Gratisleser“ ausreichend Werbeeinnahmen generiert würden.

Bezahlschranke bei DIE WELT. Zum Vergrößern antippen.

Auf der anderen Seite haben wir einen kollektiven Werteverfall bei den Nutzern, der mit dem Versagen der Anbieter einhergeht und auf dem in der Bronzezeit des Internets entwickelten Selbstverständnis beruht, dass virtuelle Angebote kostenlos zu sein hätten.

Daraus hat mancher die irrige Annahme entwickelt, dass er sich alles nehmen könne, dessen er habhaft werden kann. Denn in der Anonymität des Internets haben die Worte „Das tut man nicht.“ eine geringere Bedeutung, als auf der Straße im eigenen Dorf oder Kiez. Solange „Diebstahl“ ohne persönliche Konsequenzen möglich ist, wird gestohlen. Die einen scheren sich einen Dreck um Urheberrechte, für die anderen sind sie Garant der finanziellen Existenz.

Das Dilemma der Anbieter in von Gratisangeboten gebeutelten Branchen liegt darin, dass es keinen Zweck hat, Leistungen zu bepreisen, welche andere weiterhin kostenfrei anbieten. Denn Otto Normalverbraucher hat nun einmal seinen Schnäppchen-Belohnungsmechanismus im Kopf und erklärt jeden für verrückt, der sich freiwillig für ein Bezahlsystem entscheidet, wenn es auch eine kostenlose Variante gibt. Von diesen Nutzern, denn Kunden sind sie nicht wirklich, muss man sich verabschieden, sich auf die qualitäts- und serviceorientierten Kunden fokussieren und sein Angebot darauf ausrichten. "Die Welt" hat als Tageszeitung diesen Weg eingeschlagen.

Die privaten Nutzer von Facebook können sich weiterhin über AGB-Änderungen aufregen. Es muss nur klar sein, dass es niemanden interessiert, was ein Nutznießer denkt.

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